Schwester Julia Lenze

Schwester Julia wurde am 9.5.1935 als Margarete Lenze in einem kleinen Dorf am Rande des Sauerlandes geboren. Als drittes Kind wächst sie mit vier Geschwistern in einer durch und durch katholisch geprägten Familie auf, die voller Stolz ein Kind ins ferne Bayern schickt, das sich für einen Eintritt ins Kloster entschieden hat.

1953 tritt sie in den Orden der Missionsdominikanerinnen Strahlfeld in der Oberpfalz ein und beginnt ihr Noviziat im Kloster nicht weit von Roding.

1955 besucht sie ein letztes Mal das Heimatdorf, um sich von der Familie und der alten Heimat zu verabschieden, denn ein Leben in der Mission beginnt man zu dieser Zeit ohne Rückfahrkarte.

Gemeinsam mit einer jungen Mitschwester schifft sie sich am 7.11.1955 in Venedig ein, um wenige Wochen später im damaligen Salisbury/Rhodesien anzukommen.

In den folgenden Jahrzehnten wirkt sie als Lehrerin für Hauswirtschaft und Handarbeiten auf verschiedenen Missionsstationen des Ordens. In den vielen Jahren wird Rhodesien, das 1972 als Zimbabwe Unabhängigkeit erlangt, ihr zur Heimat.

  • 1956 bis 1960 St. Joseph´s Mission / Hamas
  • 1961 bis 1962 Brokenhill / Zambia
  • 1963 bis 1983 Makumbi Mission / 35 km von Harare entfernt
  • 1984 bis heute Loreto, Diözese Gweru,
  • zuerst als Lehrerin, dann als Sozialarbeiterin und Leiterin eines Kinderheims für ca. 40 Kinder. Nebenher Hilfe für die Armen und Bedürftigen aus der Umgebung.

    Sr. Julia tritt nach dem Erreichen des Rentenalters nicht in den Ruhestand, denn die politische, wirtschaftliche und soziale Situation im unabhängigen Zimbabwe verschlechtert sich gerade am Ende des Jahrtausends rapide. Die Aids-Pandemie rafft eine ganze Generation von Eltern dahin und zerstört die Familienstrukturen.

    Ein Land, das in den siebziger Jahren hoffnungsvoll  in die Unabhängigkeit von England aufbrach und in den folgenden Jahren als ‚Kornkammer’ Afrikas zu bescheidenem Wohlstand gelangte, liegt heute am Boden. Die Bevölkerung leidet unfassbare Not.

    Diesem Elend ist Sr. Julia – heute in ihren Siebzigern - mutig entgegen getreten; sie sorgt für ‚ihre Kinder’ und gibt die Hoffnung nicht auf, dass Gott auch ihr geplagtes Land eines Tages wieder in eine bessere Zukunft führen wird.

     

     

    Reisebericht Sr. M. Julia

    Der folgende Reisebericht entstand 1955 und beschreibt die Eindrücke der jungen Schwester Julia auf ihrem Weg nach Salisbury

    J.M.D.C.

    Euch meinen unvergeßlichen Angehörigen einen kleinen Bericht über unsere Missionsreise nach Salisbury (jetzt Harare) in Rhodesien (jetzt Zimbabwe).

    „Herr, hier bin ich um Deinen Willen zu tun, laß mich Dein sein auf ewig!“

    So beteten meine zitternden Lippen am 12 September (1955), dem großen Tag unserer Gelübdeablegung. Zudem feierten wir auch das Namensfest unserer lieben Himmelsmutter, deren Schutz wir ja ganz besonders anvertraut sind.

    Der hochwürdige Pfarrer Schlagbauer hielt die Festpredigt. Er begann mit folgenden Worten: „Gott hat sie gerufen, von Ewigkeit her hat er an sie gedacht. Gott will, daß sie in diesem heiligen Stand ihm dienen. Auch sie sind im Heilsplane Gottes eingerechnet, darum sollen sie ihm danken mit einem Magnificat im Herzen.“

    Du Herr hast mich hingeführt durch all die Jahre jetzt, bis an den Altar Gottes. Ich bin bereit für diesen Ruf und ich will mich dir schenken.

    Er gab uns die Muttergottes zum Vorbild, weil sie so klein war und gar nichts außerordentliches in ihrem Leben getan hat. Später wurde sie dann gerade wegen ihrer Demut die Königin des Himmels und der Erde.”

    In meinem Herzen ergoß sich folgendes Gebet: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn. Ja Heiland, mein Bräutigam, laß mich die kleinste sein, die Geringste unter allen, damit ich möge dir und Maria stets gefallen. Doch Herr, ich kann nichts ohne Dich, komm und beschütze mich , Maria dies erfleh´ für mich.“

     

    Heimaturlaub...

    Nachdem nun die drei Bräutchentage vorbei waren, mußten wir uns für den Heimaturlaub rüsten. Meine liebe Mutter, die an meiner Professfeier teilgenommen hatte, war überglücklich und stolz zugleich, weil ich mit ihr die Reise machen durfte. Es war ein regnerischer Tag und ausgerechnet jetzt hatte ich unsere Regenschirme im Kleiderschrank hängen lassen.

    Immer näher ging es dann meinem Heimatdörfchen zu. Immer wieder kam mir der Gedanke - was wird mein Papachen sagen, wenn er mich als Schwester sieht. Denn dieses war ja nur noch sein einziger Wunsch, da er ja nie Gelegenheit gehabt hatte, mich in Strahlfeld zu besuchen.

    Näher und näher ging es meinem Heimatdörfchen Drewer zu. Schon winkten mir von ferne die Dächer und Bäume entgegen. Wie ich aus dem Zug stieg, stand dort meine Schwester am Bahnhof. Zehn Minuten später stand ich vor meinem lieben Elternhaus, welches ich bald für immer verlassen sollte. Begleitet von meinen kleinen Cousinchen und einigen Nachbarskindern trat ich ein. War das ein freudiges Wiedersehen mit meinem kranken Vater. Es war ja das erste mal, daß er mich als Schwester sah. Am ersten Sonntag in meinem Heimatdorf wurde mir eine große Freude bereitet. Das Hochamt wurde nämlich zu Ehren unseres hl. Vaters Dominikus gefeiert.

    Ja überall gab es ein frohes Wiedersehen und Händedrücken. Ich wurde von vielen bestaunt und bewundert, ja sogar von machen für verrückt erklärt. Woher kam das? War es die weiße Ordenskleidung, die bei uns im Dorf noch etwas unbekannt war - oder weil ich den Mut hatte, einen anderen weg einzuschlagen, nämlich mein Leben ganz dem lieben Gott in einem Kloster zu weihen? Auch die Kühe drehten ihre Köpfe nach mir um, sie machten sogar Luftsprünge, wenn ich ihnen auf der Strasse begegnete. Von den Hunden wurde ich fast immer bis zur Haustür begleitet.

    Die erste Woche flog nur so dahin. Immer wieder neue Bekanntschaften und Begrüßungen. Vor allem will ich hier noch Pater Winfried erwähnen. Für unsere Dorfbewohner war es doch etwas Besonderes, nach langen Jahren wieder eine Schwester in der eigenen Gemeinde zu haben. So bereiteten sie mir am letzten Sonntag eine unvereßliche Abschiedsfeier.

    Die Frühmesse und das Hochamt mit Predigt wurden von Pater Winfried gehalten. Am Abend um halb acht Uhr war eine Missionsandacht  mir Predigt und anschließend die Abschiedsfeier. Wie soll ich all den Mitwirkenden  und Teilnehmern meinen Dank für diese schönen Stunden aussprechen? Ich kann nur eine: auch im fernen Afrika für sie beten und opfern. In den nächsten 8 Tagen hatte ich noch viel Besuch.

    Dann fuhr ich noch für zwei Tage mit meiner Schwester Elisabeth nach Düsseldorf. Unsere Rückfahrt war an einem Mittwoch und so hatten wir das große Glück, an einer Wallfahrt teilnehmen zu können. Ich befahl der lieben Himmelsmutter unsere bevorstehende Reise und meine ganze Zukunft. Anschließend gab es dann noch ein Abschiednehmen von meinen Lieben in Westtönnen.

    Immer näher rückte der 1. Oktober heran, der Tag, an dem es hieß: „Nun ade, du mein lieb’ Heimatland!“ Doch ging alles besser, als ich es mir ausgedacht hatte. Der liebe Gott gab uns allen so viel Kraft und Gnade, so dass das Abschiednehmen keine tiefen Wunden hinterließ.

    Am Morgen um viertel nach fünf Uhr überreichte mir Pater Winfried zum letzten Mal den Leib des Herrn in meiner Heimatkirche und unser Herr Vikar gab mir den priesterlichen Segen.

    Das Kaffeetrinken war schnell geschehen, denn ich verspürte kein bisschen Hunger. Dann ging ich in das Schlafzimmer meines Vaters und bat um seinen väterlichen Segen.

    Die Gefühle, welche mich durchzogen beim Verlassen meines Elternhauses kann ich nicht mir Tinte aufs Papier bringen. – Ein letztes “Lebewohl” zu meinen lieben Verwandten, welche noch zu Besuch bei uns waren und so ging es in Begleitung von meiner Mutter , Schwester und Bruder dem Bahnhof zu. Es dauerte nicht lange, da lief schon der Zug ein, mit dem ich noch einmal durch die heimatlichen Gefilde und durch das schöne Sauerland fahren sollte. Nun folgte noch ein letztes Winken mit dem Taschentuch bis der Zug um eine Biegung fuhr und mein gutes Mütterlein und Schwester nicht mehr zu sehen waren.

    Wieder platschte der Regen gegen die Fensterscheiben. Doch viel schlimmer war das „Regenwetter“ bei meinem Bruder Johannes, der mich bis Kassel weggebracht hatte. Nie werde ich das Bild vergessen können welches sich meinen Augen bot, als sich der Zug in Bewegung setzte und ich meinen Bruder zurücklassen musste. Ich war so froh, dass ich von keinem Menschen angesprochen wurde und so ließ ich meinen Gedanken und Tränen freien Lauf.

     

    Zurück im Kloster...

    Erleichtert atmete ich auf und war überglücklich, dass ich am Abend wieder wohlbehalten in unserem trauten Kloster sein konnte. Nun hatte ich noch fünf Wochen Zeit bis zum Antritt meiner großen Reise. Es gab noch viel zu erledigen und herzurichten. Auch sollte ich in dieser Zeit noch manche freudige Überraschung erleben, aber auch hier und da fest auf die Zähne beißen müssen. Nie werde ich den Morgen vergessen können, an dem unsere Novizenmeisterin mit mitteilte, daß meine Schwester Elisabeth mich vor meiner Abreise noch einmal besuchen wollte. Ich war so glücklich, daß ich sie am Abend vom Bahnhof abholen durfte aber auch sehr erstaunt, als ich ihre Reisebegleiterin Toni Aust sah. Denn keine hatte sich von dieser Absicht – mich noch einmal zu besuchen – etwas anmerken lassen, als ich zu Hause Abschied nahm. So verlebten wir noch sehr schöne Stunden, machten Spaziergänge oder hielten uns im Sprechzimmer auf. Doch kam es auch immer öfter vor, dass ich stundenlang keine Zeit für sie hatte, denn das Kofferpacken und noch vieles andere wartete auf meine Hilfe.

    Als wir am Freitag, den 04.11. mit so einer Arbeit beschäftigt waren, kam Sr. Maria Venerabilis ins Zimmer und brachte unserer Novizenmeisterin ganz aufgeregt die folgende Nachricht: „Der Bruder von Sr. Mary Chrisotoma hat gerade angerufen, daß Schwester plötzlich krank geworden ist und höchstwahrscheinlich nicht mitfahren kann.“ Ich glaube, Schwester Herlinde und ich wurden blass vor Schrecken, denn sofort stiegen Berge von Fragen vor uns auf. Ja wie sollte das werden, wenn man uns zwei Kinder nun allein losziehen läßt? Wir trösteten uns gegenseitig und vertrauten ganz auf die Hilfe Gottes und den Schutz der Himmelsmutter.

    Am Sonntag gab es noch einmal einen recht aufregenden Tag. In der Früh erfuhren wir, daß wir noch nach Nürnberg fahren durften um unserer Frau M. Priorin „Lebewohl“ zu sagen, die schon für einige Wochen dort im Krankenhaus lag. Sie hatte nicht mehr mit unserem Kommen gerechnet und war daher außer sich vor Freude. Sie gab uns noch einige Ermahnungen für die Zukunft und mit Tränen in den Augen ließen wir sie zurück.

    In Strahlfeld hatten sich schon alle Schwestern in der Kapelle eingefunden um an unserer Abschiedsfeier teilzunehmen. Doch leider kamen wir mit einer guten halben Stunde Verspätung heim. Jetzt hieß es von allen Seiten „schnell, schnell in die Kapelle, die warten schon alle so lang auf euch.“ Ich kam erst richtig zur Ruhe als ich vom Chor das folgende Lied singen hörte:

     

      Stern auf den ich schaue,

      Stab an dem ich geh,

      Führer dem ich traue,

      Fels auf dem ich steh,

      Brot von dem ich lebe,

      Quell an dem ich ruh,

      Nichts hab ich zu geben,

      Alles Herr bist Du!

     

    Wie schwer fiel es doch unserem hochw. Herrn Spiritual uns jungen Missionarinnen die Aussendungsfeier zu halten. Denn er war selber schon viele Jahre in der Mission tätig und wurde dann von den Kommunisten ausgewiesen. ... Wir erhielten dann den priesterlichen Segen und mit dem folgenden Lied war die kurze aber unvergeßliche Feier beendet.

     

      In das dunkle Meer des Lebens,

      leucht ein heller Stern herein.

      Wer ihm folgt sucht nicht vergebens,

      nur dem Glauben leucht´sein Schein.

      Schönster Stern oh laß dich grüßen,

      bei dem wir geborgen sind.

      Die laß unser Herz erschließen,

      Mutter mit dem Himmelskind.

     

    Nach einem kurzen Nachtgebet verließen wir unsere uns so liebgewordene Kapelle. In der Buchbinderei warteten die lieben Professschwestern auf uns um uns Lebewohl zu sagen. Als wir ins Noviziat kamen, hatten unsere jungen Schwestern schon alles für unsere Abschiedsfeier hergerichtet. Mit einem Lied zu unserem hl. Vater Dominikus wurde sie eröffnet. Dann das Abschiedsgedicht.

     

      Ja nun ist es wieder einmal soweit,

      zwei junge Schwestern brechen auf zum großen Streit für Christus,

      daß sein Reich sich ausbreite auf Erden,

      daß immer mehr Heiden gläubige Christen werden.

      Ihr sollt nun wirken im fernen Afrika,

      bitte sagt auch dort zu allem was kommt ein freudiges „ja“.

      Wir sehen euch nicht gerne scheiden,

      doch das Abschiednehmen läßt sich nun einmal nicht vermeiden.

      Doch ist die Trennung nicht ewig, wir bleiben verbunden,

      wird doch durch Gebet und Opfer jede Trennung überwunden.

      Wenn wir uns auch hier nicht mehr wieder sehn,

      so werden wir doch gemeinsam vor Gottes Antlitz stehn.

      Manche Erinnerung wir euch aber kommen in den Sinn,

      was ihr in Strahlfeld erlebtet mit Verlust und Gewinn.

      Wir wollen eurem Gedächtnis ein wenig Auffrischung geben

      Und berichten, was wir mit euch taten erleben.

      Schwester Maria Julia ist im Anstreichen ganz groß,

      sie bemalte die Betten und Schränke mit Farbe famos.

      Diese Kunst wandte sie auch in der Küche an, ohne sich zu genieren,

      und tat dort die Torten mit Creme, nicht mit Farbe verzieren.

      Doch die Armen Seelen tut sie fürchten sehr,

      ein Weg durch den dunklen Gang war für sie viel zu schwer.

      Die Armen Seelen die konnten mich jagen,

      so hörte man sie oft mit Furcht und Zittern klagen.

      Nein, schnell wurde das Licht angemacht,

      wenn man wurde auch herzlich ausgelacht.

      Nach Schwarzbrot suchte oft ihr Sinn,

      so schrieb sie einer Schwester ins Krankenhaus hin.

      Es ist nicht so schlimm, daß sie noch nicht zurückgekommen,

      aber daß ich aufs Schwarzbrot warten muss, das macht mein Herz beklommen.

      Hoffentlich sehen sie die Neger nicht für Schwarzbrot an,

      dann könnte schnell beendet sein ihre Lebensbahn.

      Doch zum Schluß, eh ihr beginnt die große Fahrt,

      geben wir euch noch folgenden, gute Rat:

      Das macht euch stark: im Kleinen aufrecht gehen,

      und selbst im Kleinsten etwas Großes sehen.

      Und auch das Kleinste voller Liebe tun.

      Das wappnet euch mit gar gewalt´ger Kraft,

      und Segen ruht auf eurer Pilgerschaft,

      und Adel strömt aus eurem ganzen Sein, und hält euch rein.

     

    Nach einigen lustigen Stückchen wurde noch das Lied gesungen; Komme was kommen mag, wir sind bereit,... Es war nun schon elf Uhr und es folgte der schmerzlichste Abschied, nämlich von meinen lieben jungen Mitschwestern, mit denen ich im Ordensleben und Noviziat aufgewachsen war. Doch es musste schnell gemacht werden, denn für alle wurde es Zeit für´s Bett.

     

    Aufbruch...

    Am 07.11.1955 morgens um halb sechs Uhr, erklang in unserem Klösterlein zum letzten mal die Glocke zum Erwachen. Mein Herz war voller Freude und stiller Wehmut zugleich. Unsere lieben Mitschwestern hatten das Gepäck schon in den unteren Gang getragen. Wir zwei gingen zum letzten mal in unsere traute Kapelle um dem hl. Messopfer beizuwohnen. Wir empfingen noch einmal den Leib des Herrn und verließen während der zweiten hl. Messe gerade bei der hl. Opferung die Kapelle. „Lebe wohl, lieber Heiland! Auch ich will gleich dir auf dem Altare eine Opferhostie sein, nur für dich und für den nächsten zu leben, das sei fortan mein einzig Streben.“

    Nach dem Frühstück, welches aber nicht recht schmecken wollte, gingen wir hinaus in den Klosterhof. Was war das ein rührender und tief ergreifender Anblick, als wir in den Hof kamen. Links und rechts vom Eingang hatten sich alle Schwestern und Haushaltungsschülerinnen aufgestellt. Wo ich auch hinschauen mochte, bei allen der gleiche Anblick, Tränen über Tränen. Elisabeth und Toni hätte ich beinahe noch ganz vergessen. Im letzten Moment entdeckte ich sie noch; sie hatten sich beide hinter die Haustüre verkrochen. Der Abschied ging schnell, ein letztes Umarmen und nochmals viele Grüße an Eltern und Geschwister.

    Unser Herr Spiritual erteilte uns noch einmal den priesterlichen Segen und von allen Lippen erklang das Gebet: „Unter deinem Schutz und Schirm..:“ Wie soll ich die Gefühle in Worten wiedergeben, die mich bei der Abfahrt des Autos durchzogen? So etwas muß man selber erlebt und verspürt haben. Schwester M. Venerabilis und Frau M. Meisterin begleiteten uns bis München. Dichter Nebel durchzog das Regental. Doch ungefähr nach einer Stunde brach die Sonne durch und der Nebel musste vor ihr weichen. Ja, und noch einmal leuchteten uns die bunten Herbstbäume entgegen. Hier und da verirrte sich ein abgefallenes Blatt und der lustige Herbstwind ließ es bis zu unseren Fenstern des Autos hinauf flattern. Auch es rief uns zu: „Lebet wohl, lebet wohl, wir sehen uns nie mehr wieder.“

    Mittags kamen wir dann in München an. Mittagessen hatten wir bei einer Familie Huber. Herr Huber war bei der Bahn angestellt und er hatte schon am Morgen für uns zwei ein eigenes Abteil bestellt. Um viertel vor zwei Uhr fuhren wir dann zum Bahnhof.

    Ja jetzt wurde es wirklich ernst und wieder einmal standen wir vor einem weiteren Abschiednehmen. Wir zählten schon die Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Unsere Vorgesetzten erteilten uns zum letzten mal den mütterlichen Segen. Der Zug setzte sich in Bewegung und unsere Lippen sprachen noch einmal ein herzliches „Vergelt´s Gott“. Ein fester Händedruck und ein letztes Winken mit dem Taschentuch und dann, ja dann waren wir zwei ganz allein, ganz allein in einem Abteil. Doch nein, fühlten wir nicht gerade in diesem Trennungsschmerz die Gegenwart Gottes. Vernahmen wir in unserem Innern nicht die Stimme: „Fürchtet euch nicht, meine Mutter und ich lassen euch keinen Augenblick aus dem Auge.“ So vertrauten wir uns aufs neue dem Schutz der Himmelsmutter an und bekamen wieder frischen Mut.

    Schnell brauste der Zug dahin. Kurz vor Rosenheim begrüßten uns die ersten Bergketten. Doch die Herrlichkeit dauerte nicht all zu lang, denn um fünf Uhr fing es schon an dunkel zu werden und wir sahen nur hin und wieder die beleuchteten Fenster der kleinen Alpenhäuschen zu uns hernieder winken. Schon kamen wir zu der Grenzstation Kufstein, es kam die Pass- und Zollkontrolle. Der Herr war sehr freundlich und wir kamen ohne den Koffer zu öffnen davon. Um Mitternacht kamen wir in Verona an. Dort hatten wir zwei Stunden Aufenthalt. Nach langem Fragen und Nichtsverstehen brachten wir endlich heraus, daß unser Zug auf Bahnsteig 4 weiterging nach Venedig. Wir bekamen nur einen Stehplatz und waren müde zum Umfallen. Kurz vor Venedig verließen einige Mitreisende ein Abteil. Ich nutzte die Gelegenheit schnell aus und nach einigen Minuten war ich in tiefsten Schlaf versunken. Plötzlich vernahm ich wie aus weiter Ferne Sr. M. Herlindes Stimme: „Schwester, kommen sie schnell, wir müssen noch einmal umsteigen.“  Ich rieb mir die Augen, träumte ich oder war es Wirklichkeit? Ich wandte mich an die erstbesten Menschen, aber vergeblich, wir konnten ja die italienische Sprache nicht verstehen. Was tun? Ich schlug vor, auf der nächsten Station wieder umzukehren. Doch damit war Sr. M. Herlinde nicht einverstanden, denn sie gab mir zur Antwort: „Schwester M. Venerabilis und F.M. Meisterin sind jetzt froh, daß sie uns in München los geworden sind, was werden sie sagen, wenn wir wieder heim kommen.“ Nachdem wir das Fragen noch einmal gewagt hatten, fanden wir einen Schaffner, der etwas deutsch verstand und uns auf den richtigen Bahnsteig brachte.  

     

    08.11.1955

    Endlich um halb sechs waren wir in Venedig. Wir saßen in dem riesengroßen Bahnhof und warteten darauf abgeholt zu werden. Der Herr vom „Lloyd Triestino“ traf gegen 09.00 Uhr ein, war sehr nett und sprach zu unserem großen Glück auch noch ganz prima deutsch. Da wir nicht auf dem Schiff übernachten konnten, mussten wir uns zuerst eine Unterkunft suchen. Straßen waren nicht zu sehen und so zeigte uns der Herr die Haltestelle eines Dampfers, der uns bis zur Accademica bringen sollte. Bei den Schwestern in der Stefanostr. fanden wir liebevolle Aufnahme. Schwester Oberin tat alles für uns, damit wir unsere Papiere in Ordnung bekamen. Nebenbei führte sie uns durch den verführerischen Zauber der wunderbaren Stadt. Die königliche Schönheit Venedigs ist gewirkt aus Licht und Farbe; jedes Gebäude ist ein Lobpreis der Kunst. Eines der größten Kunstwerke ist der Markusdom. Der Platz ist voller Tauben, man braucht nur die Hand auszustrecken, dann kommen sie schon angeflogen. Wie bemächtigt einen der Anblick der Kirche, die fast nur aus Marmor aller Arten und kleinen Mosaiksteinchen gebaut ist. In der Vorhalle ist das ganze alte Testament und in der Kirche selber das neue Testament, alles auf goldenem Grund und aus den kleinen Steinchen des Mosaik angefertigt. So eine Herrlichkeit kann man einfach nicht mit Worten beschreiben.

    Am Mittag kamen wir dann wieder übermüdet and abgespannt bei den guten Schwestern an. Meine Füße wollten mich nicht mehr tragen, denn zwei Nächte ohne Schlaf, das macht sich doch wohl bemerkbar. Sr. Oberin führte mich dann in ein Zimmer, welches man schnell für uns hergerichtet hatte. Ich legte mich mit Stiefeln und Sporen aufs Bett, weil ich nicht länger als eine Stunde schlafen durfte, da wir wegen der Papiere noch einmal in die Stadt mussten. Also gute Nacht, heiliger Schutzengel! Was war das? Wieder hörte ich Sr. Maria Herlindes Stimme: „Ja Schwester, haben sie denn nichts gehört? Jetzt haben wir schon über eine halbe Stunde geklopft und gerufen. Vor lauter Angst sie seien gestorben, haben wir nun die Tür aufgebrochen.“ Jetzt kam ich erst richtig zu mir und mit einem Satz stand ich vor dem Bett.

    Wieder machten wir einen Bummel durch die Stadt. Wie waren wir glücklich, daß wir schon bei Zeiten ins Bett gehen konnten. Ich schlief wieder so fest, daß ich in der Früh das Klopfen überhörte.

     

    09.11.1955

    Nachdem wir dem heiligen Messopfer beigewohnt hatten und uns in der heiligen Kommunion gestärkt hatten, traten wir mit dem Heiland vereint den Weg zum Hafen an. Unsere „Europa“ stand schon reisefertig. Mir blieb vor Staunen die Sprache weg. Zuerst sahen wir uns unser neues Heim ein wenig näher an, dann ging es noch einmal zurück an Land. Eine große Volksmenge war am Hafen zusammen gekommen, um sich die Abfahrt unseres Schiffes anzusehen. Unter ihnen waren auch sieben deutsche Schwestern, von denen wir schon bald begrüßt wurden. Es waren vier Mallersdorfer und 3 Oberzeller Schwestern. Priester waren auch hin und wieder zu sehen.

     

    Schwester Oberin hatte zwei von ihren jungen Schwestern die Freude bereitet, sich unser Schiff auch einmal näher anschauen zu dürfen. Mit ihnen gingen wir nun durch das ganze Schiff. Der Zeiger der Uhr rückte immer näher auf halb zwei Uhr zu und nun noch einmal ein Abschied nehmen von den guten Schwestern, die so viel für uns getan hatten. Die zwei jungen Schwestern konnten ihre Tränen nicht zurückhalten, denn sie waren ja auch mit dem Gedanken ins Kloster gegangen , um Missikonsschwestern zu werden. Doch nun mussten sie in der Heimat bleiben und da ihre Mission erfüllen. Wir verabschiedeten uns unten beim Eingang des Schiffes. Sagten nochmals für alles Vergelt´s Gott und auf ein frohes Wiedersehn im Himmel, dann eilten wir zwei auf Deck. Wir zogen wieder das Taschentuch aus dem Unterrock hervor und winkten so lange, bis eine Straßenbiegung die drei aufnahm.

    Wieder begann es zu regnen, doch wir bemerkten es kaum. Unsere Gedanken waren weit, weit weg und unsere Blicke verloren sich in der großen Wasserfläche, welche sich vor uns ausbreitete. Dann wurde unsere Europa lebendig. Die Taue wurden gelöst, ein Krachen und aufschäumendes Wasser und langsam, ganz langsam entfernten wir uns dem Land. Die Menschen die wir zurückließen winkten uns noch lange nach. Bald sahen wir nur noch einige Türme von Venedig und vor uns lag der hellgrüne Meeresspiegel.

    Wir zogen uns in die Kabine zurück. Aber oh Schreck, wieder eine neue Überraschung. Wer hatte sich denn dort in unserer Kabine eingenistet? Auf dem Bett lag eine rote Jacke und lauter weltliche, moderne Sachen. Wir befürchteten mit einer Italienerin unsere Kabine teilen zu müssen. Doch verlief diese Aufregung viel besser, als wir es uns gedacht hatten. Als wir nach dem Abendtisch in unsere Klause zurück kamen, war die Dame gerade dabei, ihre Sachen auszupacken. Sie empfing uns mit den folgenden Worten: „Ach bin ich froh, dass ich mit euch in der Kabine sein kann. Ich bin die Schwester von Sr. Mary Clemens und fahre nun für 1 Jahr zu ihr.“

     

    10.11.1955

    In der Nacht schlief ich ausgezeichnet. Eine Wiege brauchte ich nicht zum Einschaukeln, denn das besorgte unser Schiff schon. In der Früh wohnten wir in der Nebenkabine zwei hl. Messen bei und empfingen auch den Leib des Herrn. Nach dem Frühstück, bei dem wir zwei Spiegeleier, Schinken und noch andere gute Sachen verspeisten, begaben wir uns auf Deck. Kurz vor Mittag tauchten im Osten die Berge von Griechenland auf. Wir brauchten einige Stunden, bis das letzte Stückchen Land zurück blieb. Um halb eins Uhr passierten wir die Insel Kreta. Gewaltige aschgraue Berge blickten zu uns herüber. Hier und da sahen wir einzelne Dörfer und Häuser. Jedoch nie Wald oder auch nur einen Baum. Meiner Ansicht nach haben die Bewohner dort ein sehr hartes Leben.

     

    12.11.1955

    Der letzte Tag der Woche fing schon gut an. Wir wollten zur hl. Messe unser Officiumbuch mitnehmen. Doch vergebens stellten wir die ganze Kabine auf den Kopf. Sr. Maria Herlinde war sich ganz sicher, daß sie dieselben am Abend vorher in die Kabine getragen hatte. Nun gut, so blieb uns nichts anderes übrig, als nach der hl. Messe mit dem Suchen weiterzufahren. Bei der hl. Messe kam mir schon der Gedanke – sollte Schwester die Bücher wohl in die falsche Kabine getragen haben. So war es denn auch, nach vielem hin und her hatten wir unser Vermisstes bald wieder zurück.

    Gegen vier Uhr fuhr unser Schiff in den Hafen von Port-Said ein. Im Nu war unser Schiff von acht kleinen Booten umgeben von wo aus uns die Ägypter und Araber ihre Waren feilboten. Es war ein buntes und märchenhaftes Bild. Sie verkauften hauptsächlich handgemachte und sehr kunstvolle Lederprodukte, Teppiche, Strohhüte und Südfrüchte. Das war ein Handel und Geschrei in allen Sprachen. An Land gingen wir jedoch nicht, weil es schon anfing zu dämmern.

    In Port-Said kam uns richtig zum Bewusstsein, dass wir ganz fern der lieben Heimat waren.

    Mir wurde ganz komisch zu Mute als ich die schwarzen und braunen Araber sah, die mit weißen und hellgestreiften Kitteln bekleidet waren und den Kopf mit einem Turban bedeckt hatten. Frauen bekamen wir ganz selten zu sehen. Eine lag uns gegenüber auf dem Rasen. Sie war ganz schwarz gekleidet und verschleiert.

    Die Straßen dort sind breit und auf beiden Seiten mit Palmen eingesäumt. Schöne große Häuser mit flachen Dächern, Balkons und hübschen Vorgärten, in denen die Blumen in allen Farben blühen.

    Die Hauptverkehrsmittel sind die Eselkarren, aber auch schöne moderne Autos. An dem Abend gingen wir spät zu Bett. Ja, gute Nacht lieber Heiland und segne auch alle unsere Lieben in der Heimat! Ich hatte in der Nacht nichts gehört als unsere schwimmende Heimat sich in Bewegung gesetzt hatte. Sie fuhr so still, man vernahm kein Rauschen der Wogen oder rasseln der Ketten.

     

    13.11.1955

    Als ich am Morgen durch unser kleines Kabinenfenster schaute, sah ich eine öde Sandwüste. Am liebsten wäre ich gleich aufs Deck geeilt, doch zuerst mussten wir ja unsere Pflicht erfüllen. Mit dem Frühstück ging es heute schnell, den um 8 Uhr hatten wir ein feierliches Hochamt im Aufenthaltsraum. Wir sangen die achte Choralmesse worin auch die wenigen Italiener mit einstimmten.

    Ja, bei uns Schwestern war der Sonntagsfriede in die Seelen eingezogen, denn wir hatten mal wieder nach langer Zeit ein schönes feierliches Hochamt. Doch wie waren wir erschüttert als wir nachher auf Deck kamen, um uns das Land und Leben der Araber etwas näher zu besehen. Da arbeiteten die Männer und Buben mit Hacke und Schaufel an einer dem Suezkanal entlangführenden Straße, die der Wind ganz mit Wüstensand zugedeckt hatte. Mir taten die Menschen leid. Sie wussten sicherlich noch nichts von einem Gott der den Menschen das Gebot gegeben hat: sechs Tage sollt ihr arbeiten, am siebten aber ruhen! War zu ihnen noch kein Missionar gekommen, der den dichten Schleier des Heidentums von den Seelen weggenommen hatte? Diese Menschen waren nicht nur arm an der Seele, auch die leibliche Not wohnte bei ihnen als ständiger Gast. Ihre Wohnungen waren ärmliche und oft schon ganz verfallene Lehmhütten. Einige hausten auch  nur in Sandhöhlen. Ihren Mittagsschlaf hielten sie im heißen gelben Wüstensand. Wir hatten an dem Tage 30° im Schatten. Hier und da sah man mit Mais angebaute Felder, die meistens mit hohen Palmen umgeben waren. Sie hielten die schreckliche Sonnenglut (etwas) zurück und machten so das Arbeiten etwas erträglicher. In dieser Gegend sahen wir auch die ersten Kamele und eine Art von Büffel.

    Am Nachmittag kamen wir im Hafen von Suez an. Wir mussten mit der Weiterfahrt noch einige Stunden warten, da sechs andere Schiffe das Vorfahrtsrecht hatten. Wir Schwestern hatten uns wieder auf dem luftigen Deck eingefunden, um den Rosenkranz zu beten. Gegen halb sechs Uhr erlebten wir einen unbeschreiblich schönen Sonnenuntergang. Die Berge und das Meer glichen einem großen Feuerbrand. Keiner von uns wagte diese feierliche Stille zu brechen. Ja, o Gott, wie groß bist du, wie schön ist deine Welt! Wir ließen unsere schönen Heimatlieder weit übers Meer erklingen, bis der letzte rote Schimmer der sinkenden Sonne verschwunden war. Das Abendessen schmeckte heute besonders gut. Die Italienerin, welche bei uns am Tisch saß meinte es manchmal zu gut mit uns. Im Handumdrehen hatte sie mir ein großes Glas Wein eingeschenkt, welches ich auch anstandshalber trank. Doch beim Aufstehen merkte ich schon die Folgen. Mir war es, als wenn das Meer inzwischen sehr unruhig geworden wäre, denn ich spürte fast keinen Boden mehr unter den Füßen. Aufgefallen bin  ich aber nicht, denn ich sah zu meinem Glück die Menschen und Dinge noch einfach. Doch habe ich mich dann gleich in den Backofen verkrochen.

     

    14.11.1955

    In aller Früh war ich schon müder und abgespannter wie sonst vom Arbeiten und Rennen. Fast unerträglich war die drückende Hitze in der engen Kabine wo wir dem hl. Meßopfer beiwohnten. Doch ich legte dieses Opfer mit auf die Opferpatene für diejenigen, welche zu der Zeit fast nackt auf dem Deck herumliefen. Am Nachmittag ertönte die Alarmglocke. Alle Passagiere, ob groß oder klein mussten auf dem Deck der 1. Klasse mit der Schwimmweste erscheinen. Trotz der ernsten Sache war es uns Schwestern recht lächerlich zumute. Wir nahmen das Ding vorerst nur unter den Arm und gingen den anderen Leuten nach.. Oben angekommen gab man den Befehl die Schwimmwestern anzuziehen. Dieses Bild hättet ihr sehen sollen. Wir sahen fast so aus wie die Mäuse, wenn sie aus dem Loch herausgucken. Am schönsten war Sr. Maria Herlinde; da sah man bald vor lauter Weste keine Schwester mehr.

     

    15.11.1955

    Nach einem schönen Schwitzbad waren wir sehr froh, daß wir und nach der hl. Messe aufs Deck begeben konnten. Heute wurde allen deutschen Schwestern die Freude bereitet das Schiff bis ins Kleinste kennen zu lernen. Ein sehr feiner Herr von der Schiffsgesellschaft erklärte uns alles in gebrochenem Deutsch. Als wir zur Spitze des Schiffes kamen, wo der Kapitän seinen Sitz hat sagte er: „Jetzt kommen wir auf das  Kopf von dem Schiff.“ In der Küche bekam jede von uns ein Stückchen Gebäck. Dann ging es wieder durch die langen Gänge und jeden Raum der 1. Klasse. Die Größe und Einrichtung könnt ihr euch nicht vorstellen.

     

    16.11.1955

    Wieder dankten wir dem Heiland mit einem Magnificat für die verflossene Nacht. Als wir auf Deck kamen sahen wir die ersten Vorboten des nahenden Landes – die Möwen. Dann erblickten wie die gelbe Sandwüste aus der wuchtige kahle Felsen und Berge bis ins Meer hinein wuchsen. In dieser trostlosen und unfruchtbaren Gegend lag der Hafen von Aden. Die eigentliche Stadt liegt 20-25 km in den Bergen. Von einigen Passagieren erfuhren wir, dass es dort schon 4 Jahre nicht mehr geregnet hat. An Land gingen wir nicht. Wir konnten auch vom Schiff aus viel Interessantes sehen. Es zeigte sich auch hier das bunte Bild wie in Port-Said. Hier sahen wie auch die ersten richtigen Neger die bis zu uns aufs Schiff kamen um ihre Sachen zu verkaufen. Gegen sechs Uhr zog sich der Himmel mit ganz dunklen Wolken zu und das Meer wurde recht lebhaft. Wir befürchteten für die Nacht einen richtigen Sturm, auf den ich schon so lange gewartet hatte. Früher wie sonst suchten wir unser bett auf. Als wir am nächsten Morgen erwachten haben wir uns groß angeschaut, denn wie hatten nichts vom Abfahren der Europa gemerkt noch vom befürchteten Sturm.

     

    17. und 18.11.1955

    Zwei Tage lang sahen wir nur Himmel und Wasser. Dann und wann erblickten wir in der Ferne einen gelben Streifen der unendlich  großen Sandwüste. An den Tagen hielt ich erstmals Ausschau nach Fischen oder ich bewunderte das lustige Wellenspiel. Vor allen Dingen bemerkte ich einen Unterschied in der Meeresfarbe, In Venedig war das Wasser grün und hier fast dunkel blau. Die Sonne meinte es fast zu gut mit uns. Der Schweiß tropfte uns nur so von der Stirn vom vielen Nichtstun. Ich stand an der Reling und schaute gedankenlos ins Meer. Da entdeckte ich nicht weit von unserem Schiff eine weiße Rauchwolke. Da ich nicht wußte, was das für ein Seeungeheuer sein konnte, fragte ich die nächststehenden Menschen. Alle waren der Meinung, daß es nur ein Walfisch war. Am anderen Tag in der Früh entdeckte ich eine ganze Anzahl fliegender Fische.

    Am Nachmittag hatten wir ein Kinderfest im Aufenthaltsraum, zu dem auch wir Schwestern eingeladen wurden. Als wir am Abend auf Deck waren wurde durch Lautsprecher bekannt gegeben, daß wir in einigen Minuten unser Schwesterschiff die „AFRIKA“ passieren würden, Wir eilten schnell auf Deck der 1. Klasse und schon sahen wir sie in der Ferne gleich einem kleinen Dampfer. Unser Schiff begrüßte sie zuerst mit lautem Hupen, welches die Afrika sogleich erwiederte. War das ein Winken und schreien, als wir ziemlich nah aneinader vorbei fuhren. Umsteigen war nicht möglich, dafür war die Entfernung doch etwas zu groß. Doch ganze Tonnen Grüße haben wir mit ihr in die unvergeßliche liebe Heimat geschickt.

     

    19.11.1955

    Sehr unruhig und fast schlaflos war die Nacht von Freitag auf Samstag, denn die Hitze quält mich ohne Erbarmen. Gegen elf Uhr sollten wir in Mogadischu ankommen. Doch wie waren wir erstaunt, als wir nach dem Frühstück auf Deck kamen und die Stadt in einem trostlosen Anblick vor uns lag. Aus dem gelben Sand ragten weiße Häuser mit flachen Dächern empor. Einzelne Palmen wiegten sich in dem sanften Wind, der vom Meer zu ihnen herüber wehte. Fast unerträglich war die Hitze, aber trotzdem drängte es uns hinaus aufs Land. Unser Schiff stand ziemlich weit vom Hafen und es gab keine andere Möglichkeit als mit einem Dampfer hinüber zu fahren. Wir schlossen uns den Oberzeller Schwestern und einigen Priestern an. Als wir auf Deck kamen, bot sich uns ein lustiger Anblick. Gerade wurden in einem Förderkorb die Passagiere in das unten stehende Boot gelassen. War das ein Gelächter, als wir fünf Schwestern mit unseren langen Habiten einsteigen mussten. Ein Ruck, und wir schwebten zwischen Himmel und Wasser. Unten wurden wir von Negern in Empfang genommen. Das kleine Boot schaukelte ganz schrecklich. Fast sah es so aus, als wenn ich einen Sprung ins Meer machen wollte. Das sah zufällig ein Neger, der schnell nach meinem Arm griff und mir einen sicheren Platz im Boot anwies. Ich war furchtbar erschrocken und warf einen schnellen Blick auf meinen Arm um festzustellen, ob der Neger auch nicht abgefärbt hatte.

    Zuerst suchten wir eine katholische Kirche auf. Wir fühlten uns wie ins Paradies versetzt, weil wir in dem kühlen Gotteshaus vor dem Tabernakel knien konnte. Kaum hatte ich dem Heiland meinen Wunsch gesagt: „Heiland, ich habe doch so einen Durst, bitte bring uns doch etwas zu trinken...“ kam eine italienische Schwester und bot uns einen kühlen Raum an. Es dauerte nicht lang, da brachte uns ein Negermädchen mein Gewünschtes. Weiter ging unsere Wanderschaft zu einem Negerviertel. Zuerst kamen wir auf einen großen Platz, wo Kamele getränkt wurden. Wir mussten nun mitten durch diese schrecklich stinkenden Viecher. Mir lief es kalt über den Rücken als eines der Kamele den Kopf nach mir ausstreckte.

    Als wir die ersten Hütten erreicht hatten, hatten wir im Nu ein Gefolge vor 70-100 großen und kleinen Negern hinter uns. Die Kinder machten ein Geschrei und rissen uns fast die Kleider vom Leibe. Die Priester waren nicht damit zufrieden, die mit Stroh bedeckten Hütten nur von außen zu sehen, sondern gingen in die erst beste hinein. Wir natürlich immer hinter her. Wir zogen unseren Kopf ein und schon befanden wir uns in einem Raum, der gleichzeitig als Küche, Schlafzimmer und Werkstatt diente. Weiter ging es nun durch die engen und schlecht duftenden Gassen. Unsere Begleitung wurde immer größer. Als wir dem Innern der Stadt näher kamen verließen uns die Neger und wir konnten ungeniert unseren Weg weiterführen. Eine Kathedrale war die nächste Besichtigung. War das eine Erleichterung für uns, als wir in den ruhigen und kühlen Hallen ein wenig rasten konnten.

    Als wir zu unserer schwimmenden Heimat zurückkamen, fing das lustige Schauspiel wieder von Vorne an. Eins, zwei, drei ging es in den dreckigen Förderkorb hinein . Ich wurde von den umstehenden Passagieren angestiert, als wenn sie mich noch nie gesehen hätten. Meine Frage warum war gelöst, als ich einen Blick in den Spiegel warf. Ich kam mir so vor, als wenn ich einem Indianer gegenüber gestanden wäre. Die afrikanische Sonne hatte mich an diesem Tag tüchtig eingeweiht.

     

     21. und 22.11.1955

    Schon in aller früh hatte unsere Europa in Mombasa die Anker geworfen. Wegen der bevorstehenden Mittagshitze machten wir uns gleich nach dem Frühstück auf Wanderschaft. Hier sah es schon ganz anders aus als in Mogadischu. Die hellen Häuser waren mit Palmen und anderem grünen Buschwerk umgeben. Alle grünte, blühte und prangte in den verschiedensten Farben. Schwalben und andere Singvögel flogen umher und sangen uns ihr erstes Morgenlied. Die Hitze wurde immer größer und wir waren noch nicht an unserem geplanten Ziel, der Missionsstation angekommen. Im Negerviertel angekommen, steckten auch hier groß  und klein die Köpfe aus Fenstern und Türen um uns 15 an der Zahl zu sehen. Viele Kinder begleiteten uns bis zur Missionsstation. Zum Glück hatte ich heute meine Unterrocktasche voll Süßigkeiten gesteckt und konnte daher manchem Krausköpfchen eine große Freude machen. Die gastfreundlichen Paters hatten viel Arbeit um uns ausgetrocknete Geschöpfe wieder ein wenig aufzufrischen. Wie besichtigten die ganz einfach eingerichtete Schule und Kapelle. Machten Aufnahmen mit den kleinen Nergerlein, welche vor Angst entsetzlich an zu schreien fingen.

    Es wurde nun höchste Zeit, daß wir unser Schiff wieder aufsuchten. Ein Negerbub brachte uns zum nächsten Omnibus, mit dem wir bis kurz vor den Hafen fahren konnten. Mit einer halben Stunde Verspätung kamen mit zum Abendessen. Obwohl wir ganz abgespannt waren, gingen wir erst nach zehn Uhr ins Bett. Vor allem wurde noch lange diskutiert und überlegt, wie der kommende Tag am besten einzuteilen war, denn unser Schiff blieb noch bis vier Uhr Nachmittags im Hafen. Gute Nacht zusammen, um viertel vor sechs treffen wir uns auf dem Deck. Es wurde 12, 1 und 2 Uhr und immer noch lag ich schlaflos und schweißgebadet in meinem Backofen. Kaum war ich eingeschlafen, da läutete auch schon der Wecker. Ich weiß nicht, wie ich an diesem Morgen die Hühnerleiter aus meiner Koje heruntergekommen bin. Ich war noch nicht ganz fertig mit dem Ankleiden, als es auch schon an unserer Kabinentür klopfte. Wir hatten heute das Glück, in unserer Kabine eine heilige Messe zu haben. Mit dem Heiland vereint zogen wir punkt viertel vor sechs Uhr los. Es war ein angenehmes Wandern und wir ließen unsere Lieder durch die noch schlafende Natur erschallen. Zwei Stunden waren wir nun schon umhergeirrt, aber immer noch nicht an unserem ausgemachtem Ziel, dem Urwald angelangt. Vom Schiff aus sah die Entfernung gar nicht so groß aus und nun mußten wir manche Enttäuschung erleben. Zwei mal ging der Weg nicht mehr weiter und wir mußten wieder kehrt machen und uns einen anderen suchen.

    Zum Schluß trippelten wir den Bahngeleisen nach und so gelangten wir auf eine Hauptstraße. Wir gingen noch eine gute Stunde auf derselben und standen dann vor einer Bierbrauerei. Die kam uns gerade wie gerufen, denn die Zunge klebte uns unter dem Gaumen. Wir gingen also hinein und ein sehr netter Herr führte uns durch sämtliche Räume und erklärte uns alles in Englisch. Dreihundert Neger und neun weiße waren hier beschäftigt. Es ging mit dem Aufzug rauf und runter und der nette Herr begleitete uns bis zum Hofausgang und zeigte uns den Weg bis zum nächsten Negerkral. Wir waren etwas enttäuscht über seine Nächstenliebe und gelobten, nie von der Firma Bier zu kaufen. Etwa nach 200 m kamen wir zu den ersten Verkaufsläden der Halbschwarzen. Wir kauften uns eine Coca Cola und bogen dann von der Hauptstraße ab in einen Palmenwald. Bald hatten wir ein kleines Negerdorf erreicht. Frauen und Buben kehrten mit einem Reisigbesen die Stuben der Lehmhütten aus. Die Männer saßen vor der Hütte im Schatten und fertigten Schuhe und Kleider an. Wir gingen auch hier in eine der Hütten hinein und bald waren wir von einer großen Schar Negern umgeben. Wegen der schlechten Luft und der vielen Fliegen ging ich aber gleich wieder hinaus ins Freie. Ich beschäftigte mich nun damit, an die Frauen und kleinen Schokoladenkinder Süßigkeiten auszuteilen. Sofort hatte ich dadurch das Vertrauen der Kleinen gewonnen und bald darauf hatte ich zum ersten mal eines von ihnen auf dem Arm. Als die Priester sahen, wie mich die Neger umgaben und wie ich mich mit ihnen durch Zeichen geben unterhielt, wurden gleich wieder Aufnahmen gemacht. Mittags kamen wir dann wieder bei unserem Schiff an. Mit drei Stunden Verspätung verließen wir den Hafen von Mombasa.

     

    23.11.1955

    Obwohl an diesem Tag nur Himmel und Wasser zu sehen waren, ist dieser Tag doch unvergeßlich für mich. Wir hatten uns schon früh in den Backofen verkrochen. Doch als um 10 Uhr Frl. Rosa in die Kabine kam, lag ich noch wach. Sie schaute in mein Bett und fragte: „Schwester, haben sie noch Hunger? Ich habe noch Schwarzbrot und Butter, welches ich extra für sie aufgehoben habe. Morgen muß ich diese Kabine verlassen, da passt es noch gut zum Abschied.“ Ich konnte es kaum glauben und doch war es Wirklichkeit: ich hielt in jeder Hand mein Lieblingsbrot und ließ es mir gut schmecken.

     

    24.11.1955

    Wieder stand unser Schiff still, als wir am Morgen erwachten. Gegen sechs Uhr waren wir in Daressalam angekommen. Heute hatten wir nicht vor an Land zu gehen, denn wir waren noch zu kaputt von den Anstrengungen der letzten Tage. Doch nachdem die anderen Schwestern entgegen ihrer Ankündigung loszogen, konnten wir zwei keine Ausnahme machen. Vor allen Dingen begleiteten wir noch die zwei Priester und einen Bruder, die in Daressalam schon aussteigen mußten. Wieder wurde unsere Seele bei diesem Abschied mit einem Tropfen Bitterkeit getränkt. Selten habe ich solche feinen und großherzigen Seelen angetroffen wie diese. Doch es wurde schnell gemacht. Die Priester wurden mit einem Auto abgeholt und für uns Schwestern wurde es auch Zeit, da wir uns die Schönheiten der Stadt ansehen wollten. Kaum hatten wir den Hafen einige Meter hinter uns gelassen, als wir von einer Frau angesprochen wurden, die drei Schwestern von uns zu einer Autotour durch die Stadt einlud. Es wurden die drei Oberzeller Schwestern vorgeschlagen. Doch da eine „Kleine“ noch gut Platz hatte, durfte Sr. Mary Herlinde noch reinschlupfen. Ich machte dann mit Frl. Rosa und einem deutschen Lehrer einen Bummel durch die Stadt. Das einzig schöne was wir hier sahen, war ein Museum. Es stellte hauptsächlich die ersten Kleider, Waffen und Arbeitsgeräte der Schwarzen aus. Um vier Uhr verließ die Europa den Hafen von Daressalam.

     

    25. und 26.11.1955

    Für zwei weitere Tage sollten wir nun wieder nur Himmel und Wasser sehen. Wohl sahen wir in der Ferne einen schmalen Streifen der Küste und hin und wieder begegnete uns ein kleines Schiff oder ein Dampfer. Doch an Arbeit fehlte es uns nicht. Wir hielten noch große Wäsche und packten unsere Siebensachen zusammen. Ja, in zwei Tagen konnten wir sagen: wir sind am Ziel. Am 26. war das Meer ziemlich unruhig und ich war nicht mehr weit weg von der Seekrankheit entfernt. In der Kabine konnte ich es nicht aushalten. Daher begab ich mich aufs Deck und ließ mir den kühlen Abendwind um die Nase wehen. Schwester Maria Herlinde war auch nicht arg gesprächig und ich rechnete damit, daß sie zur Abwechslung mal wieder die Fische füttern wollte. Es war nun schon dunkel und unsere Europa fuhr so langsam, als wenn sie in einen Hafen eingefahren wäre. Doch das konnte nicht gut sein, da wir ja erst am Morgen in Beira ankommen sollten. Aber wie fingen wir an zu zittern und wie verging die Seekrankheit als wir die nahestehenden Menschen sagen hörten: „Wir sind nur noch ein wenig vom Hafen entfernt.“ Wenn uns unser Leben nicht gereut hätte, hätten wir unseren ersten Schwimmversuch gemacht. Wir konnten den Morgen kaum erwarten. Die Nacht verbrachte ich fast schlaflos.

     

    27.11.1955

    Heute ging ich schon vor der heiligen Messe auf Deck. Ja wirklich, da lag der Hafen und die Stadt vor uns, eingehüllt in den Glanz der aufgehenden Sonne. Nach dem Frühstück begaben wir uns in Begleitung der Oberzeller- und Mallersdorfer Schwestern auf die 1. Klasse. Da unser Schiff ziemlich weit vom eigentlichen Hafen entfernt die Anker geworfen hatte, mußten wir geduldig warten, bis ein Dampfer kam um uns hinüber zu fahren. Ich sah schon im Geiste Mutter de Mercede, welche uns ja abholen wollte. Zwei Stunden hatten wir nun schon gewartet, und immer kamen erst die anderen an die Reihe. Mir verging fast die Geduld. Doch was war das, sah ich recht? Da drängten sich durch die Volksmenge zwei Schwestern von unserem Orden. Wirklich, schon wurden wir begrüßt, es waren Frau Mutter Priorin und Mutter de Mercede.

    Ja, jetzt haben wir das Ziel erreicht, da Ziel unserer Reise. Aber vor uns liegt ein neuer Anfang, eine neue Aufgabe welche ist: Arbeiten im Weinberg des Herrn, mithelfen an der Rettung unsterblicher Seelen.

     

    Ich bitte jeden Leser um ein „Ave“ für mich und unsere Missionen, vergelt´s Gott.

     

    Sr. Mary Julia O.P.